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Seit Sommer 2017 nutzt die Bundesliga den Video Assistant Referee (VAR). Auch bei der WM kam er zum Einsatz, in der Champions League wird er bald eingeführt, die Premier League wird ebenfalls nachziehen. Hat der Videoschiedsrichter den Fußball gerechter gemacht? Und: Ist das die vielen Unterbrechungen wert? Ein Zwischenfazit.
Jahrelang wurde über ihn diskutiert, 2017 kam er endlich: Der Videobeweis. Die Argumente der Traditionalisten – zerstörter Spielfluss, Tatsachenentscheidungen als „Teil des Fußballs“ und Skepsis in der Umsetzung – wurden überstimmt. Zu viel Geld ist im Spiel, zu groß der Wille zur perfekten Spielleitung.
Eineinhalb Jahre später kann den Traditionalisten teilweise zugestimmt und teilweise widersprochen werden. Dem Spielfluss tut der VAR nicht gut, worüber sich Trainer und Funktionäre bereits beschwerten. „Vier Minuten, bei aller Liebe, das ist zu lange“, monierte Leipzig-Coach Ralf Rangnick jüngst nach einer langen Unterbrechung im Spiel gegen Augsburg. Es waren sogar 4:50 Minuten.
Die Diskussionen über Schiedsrichter, die den Fußball auch ausmachen, bestehen weiter – nur wird jetzt nicht mehr über Tatsachenentscheidungen diskutiert, sondern über den Videobeweis. Die Kontroversen haben sich auf eine andere Ebene verlagert, sind nicht ausgestorben. Da stellt sich die Frage: Lohnt sich das Ganze überhaupt?
VAR: Wie der Videoschiedsrichter den Fußball verändert
Die ewige Frage der Gerechtigkeit
Zwar stimmen nicht alle zu, aber breiter Konsens ist: Die minutenlangen Unterbrechungen sind korrekte Entscheidungen wert. Im Optimalfall soll der Entscheidungsprozess verkürzt, keineswegs aber zu alten Zeiten zurückgekehrt werden. Durchschnittlich dauert eine Überprüfung etwa eine Minute, das ist verhältnismäßig. Sofern der VAR also mehr Gerechtigkeit bringt, ist er eine gute Ergänzung.
Vor allem zu Saisonbeginn 2017/18 mussten Fans, Vereine und Schiedsrichter feststellen: So ganz ausgereift war das Konzept noch nicht. Viele Entscheidungen stellten sich auch in der Nachbetrachtung als strittig heraus, wobei die Videoassistenten keine sichtbar einheitliche Linie fanden. Als bekannt wurde, dass auch zur WM auf den VAR zurückgegriffen werden sollte, war die Facepalm-Rate hoch.
Doch die Umsetzung bei der Weltmeisterschaft überzeugte viele Gegner des Videobeweises, dass es doch funktionieren kann. Laut der FIFA-Schiedsrichterkommission erhöhte der VAR die ohnehin schon 95 Prozent richtigen Entscheidungen der Feldschiedsrichter noch auf 99,3 Prozent. Worin die 0,7 Prozent bestanden, wollte man jedoch nicht konkretisieren.
Vor allem in Endspielen sehnte man sich lange nach einer Überprüfung der spielentscheidenden Momente. Umso bitterer war es im DFB-Pokal-Finale 2018 für den FC Bayern München, als ein elfmeterwürdiges Eingreifen von Kevin-Prince Boateng nicht den Strafstoß zum potenziellen Ausgleich kurz vor Spielende verursachte.
Der Videobeweis wird weiterentwickelt
Viele monieren, es werden mehr Elfmeter durch den Videobeweis gegeben als aberkannt – und mehr Tore aberkannt als gegeben. Die Differenz ist tatsächlich gravierend, aber nachvollziehbar. Im Wissen, dass der Videoassistent eingreifen kann, entscheiden Schiedsrichter im Zweifel gegen einen Elfmeter und für ein Tor.
Um noch mehr Gerechtigkeit herbeizuführen, wird am Videobeweis weiterhin gearbeitet. In dieser Saison sehen sich Referees häufiger selbst strittige Situationen noch einmal an, um eine eigene Entscheidung zu treffen und nicht einfach aus dem Kölner Keller überstimmt zu werden.
Zudem sollen in Zukunft ehemalige Profispieler an der Entscheidungsfindung teilhaben – vor allem, wenn es darum geht, Fouls, Schwalben und absichtliche Handspiele zu identifizieren. Die Ex-Profis wissen besser als die meisten Schiedsrichter, wie sich Spieler in welchen Situationen verhalten.
Fluch oder Segen? Unser Zwischenfazit: Bislang weder noch. Auf Kosten des Spielflusses wurde der Fußball etwas gerechter gemacht, aber das sollte noch nicht das Optimum sein. Vor allem bei Handspielen (Stichwort: unnatürliche Armhaltung) und Elfmetern (Stichwort: Kontakt war da) besteht noch viel Luft nach oben.