Leipzig – Fußballstadt der Gegensätze. Heimat des ersten deutschen Meisters, aber auch des Projekts RasenBall. Wir werfen einen Blick auf die Fußballszene einer Region, die nach Profisport lechzt.
Wenn in Oktober die 3. Hauptrunde des Sachsenpokals ausgespielt wird, steht zwischen „Krachern“ wie SG Empor Possendorf gegen den VFC Plauen auch ein Duell des alten gegen den neuen Leipziger Fußball an: Der 1. FC Lok Leipzig empfängt die Red-Bull-Truppe von RasenBallsport Leipzig.
Es ist die vielleicht für lange Zeit letzte Begegnung zweier Generationen des Leipziger Fußballs, in dem Traditionsvereine durch Misswirtschaft und Problemfans längst nur noch eine Nebenrolle innehaben, während ein familiengerechtes Werbeobjekt zur einzigen Leipziger Hoffnung auf Profifußball avanciert ist.
RB Leipzig:
Schon 2006 hat Red Bull ein Auge auf die Leipziger Fußballszene geworfen: Der Konzern wollte beim wirtschaftlich maladen Regionalligisten FC Sachsen Leipzig einsteigen, scheiterte jedoch am Veto von DFB und Fans. Drei Jahre später war es dann der Oberligist SSV Markranstädt, dessen Startrecht sowie die ersten drei Männermannschaften übernommen wurden und so den Startschuss für das Projekt RB Leipzig bedeuteten.
Seitdem ist viel passiert: Statt im Markranstädter Stadion am Bad ist seit 2010 die Red-Bull-Arena, das ehemalige Leipziger Zentralstadion, Austragungsort der Heimspiele.
Wenig Kontinuität gab es derweil beim Personal: Vier Trainer saßen in der bislang vierjährigen Vereinsgeschichte bereits auf der RB-Bank. Bekannte Namen wie Dietmar Beiersdorfer oder Thomas Linke gaben sich als Vorstandsvorsitzender und Sportdirektor die Klinke in die Hand. Das Resultat: Der angestrebte Durchmarsch nach oben geriet mächtig ins Stocken. Drei lange Jahre hing RB in der Regionalliga fest, ehe in der vergangenen Saison der Aufstieg gelang.
In der 3. Liga spielt RB nun schon in der ersten Saison um den Aufstieg mit. Ohnehin scheint es für die Zukunft blendend auszusehen: Red Bull hat sich auf RB Leipzig als oberste Priorität seiner Aktivitäten im Fußball festgelegt, Sportdirektor Ralf Rangnick brachte seit seinem Amtsantritt 2012 Kontinuität in die Kaderplanung. Zudem ist ein eigenes Trainingszentrum in Leipzig in Planung und soll in naher Zukunft fertiggestellt werden.
Dort sollen auch die Jugendmannschaften beheimatet sein. Die B-Junioren haben bereits den Sprung in die U-17-Bundesliga geschafft, die A-Jugend spielt in der zweithöchsten Spielklasse.
Bei der Leipziger Bevölkerung hat RB inzwischen Anerkennung gefunden: Mit 12.336 Zuschauern ist RB das Team mit dem zweithöchsten Zuschauerschnitt der 3. Liga. Die Konkurrenz aus dem Leipziger Westen haben die Bullen längst abgehängt.
1. FC Lok Leipzig
RBs Sachsenpokalgegner Lok Leipzig spielt zwar nur eine Liga niedriger, doch während in der Red-Bull-Arena alle Zeichen auf mittelfristigen Bundesliga-Fußball stehen, kämpft man in Probstheida ums pure Überleben: In der Regionalliga Nordost steht Lok mit einem Punkt aus fünf Spielen auf dem letzten Platz. Das heimische Bruno-Plache-Stadion verfällt zusehends und bietet aus Sicherheitsmängeln nur noch knapp 5000 Zuschauern Platz. Gut möglich, dass die Sachsenpokalpartie ins Stadion des Rivalen verlegt wird.
Dazu kommen Probleme mit der eigenen Fanszene: Gegen Babelsberg versuchten die berüchtigten Lok-Hools einen Blocksturm. Schon seit Jahren ist die Lok-Fanszene von Neonazis unterwandert. Erst Anfang September musste ein Sachsenligaderby der zweiten Mannschaft gegen Chemie Leipzig wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden.
Dabei verkörpert Lok Leipzig den Verein der Stadt mit den größten historischen Erfolgen: Da der Verein nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem von ehemaligne Spieler des vierfachen deutschen Meisters VfB Leipzig gegründet wurde, sah sich Lok als Erbe des ersten Titelträgers des deutschen Fußballs.
In der DDR errang Lok vier Pokalsiege zwischen 1976 und 1987 sowie drei Vize-Meisterschaften. 1991 benannte sich der Verein schließlich in VfB Leipzig um und stieg 1993 gar in die Bundesliga auf, wo jedoch nach nur drei Siegen bereits nach einer Saison wieder Schluss war. Es folgten Jahre der Misswirtschaft, die in einem Insolvenzverfahren und schließlich im Juli 2004 in der Auflösung des Vereins mündeten.
Doch die Fans ließen die Köpfe nicht hängen: Sie gründeten selbst den 1. FC Lokomotive Leipzig neu und starteten mit vier Aufstiegen in Serie und einer Vereinsfusion von der 3. Kreisliga (11. Liga!) bis in die Oberliga und nach der Regionalligareform gar bis in die vierthöchste deutsche Spielklasse durch.
Doch dort drückt Lok finanziell nun erneut der Schuh: 300.000 Euro fehlten in der letzten Saison im Etat, erneut drohte eine Insolvenz. Ein Sparprogramm soll den Klub nun retten, günstige Spieler aus der Oberliga wurden geholt. Doch das junge Team ist offenbar nicht regionalligareif.
Immerhin kann der Verein ausgerechnet durch das Duell gegen das verhasste RB Leipzig auf lebenswichtige Einnahmen hoffen. Es könnte das letzte Aufeinandertreffen für viele Jahre werden.
BSG Chemie Leipzig/SG Sachsen Leipzig:
Im Stadtteil Leutzsch, direkt neben Probstheida in Leipzigs Westen, ist der Erzfeind der Lokisten beheimatet, und der feierte zu DDR-Zeiten einen denkwürdigen Erfolg: Als Sammelbecken der „nicht förderungswürdigen“ Spieler überflügelte die BSG Chemie Leipzig 1963/64 den von der Sportpolitik unterstützten Nachbarn und wurde unter Trainer Alfred Kunze Meister.
Danach war den Chemikern jedoch ein Schicksal als Fahrstuhlmannschaft beschert. Und auch nach der Umbenennung in FC Sachsen Leipzig nach der Wende wurde es kaum besser. Der Klub pendelte zwischen dritter und fünfter Liga und kämpfte wie schon der VfB Leipzig mit finanziellen Problemen. Nach zwei Insolvenzen gingen schließlich im Mai 2011 die Lichter aus.
Doch auch die Leutzscher Fans ließen sich nicht lumpen und gründeten gleich zwei Nachfolgevereine: Die SG Sachsen Leipzig spielt in der sechsthöchsten Spielklasse, der Sachsenliga. Die BSG Chemie Leipzig um die damals größte Ultra-Gruppe von Sachsen Leipzig, den „Diablos“, nahm bereits 2008/2009 selbstständig den Spielbetrieb auf und spielt derzeit eine Liga unter der SG Sachsen Leipzig.
Ausblick:
Dass die Fanlager der beiden ehemals großen Traditionsklubs ihren Vereinen die Treue halten und ihnen trotz mehrerer Insolvenzen immer wieder Leben einhauchen ist bemerkenswert. Dennoch: Die Kurve zeigt nach unten. Lok Leipzig hat seinen Zenit nach der furiosen Aufstiegsorgie überschritten und kriecht finanziell und sportlich auf dem Zahnfleisch. Die Fanszene der Leutzscher Konkurrenz ist durch die zwei Nachfolgevereine des FC Sachsen Leipzig zerrissen, beide Klubs eher eine Randerscheinung.
Zudem ist für beide die Strahlkraft von RB ein Fluch: Sowohl Zuschauer als auch talentierte Junioren zieht es zum erfolgsversprechenden Neuling. RasenBallsport ist inzwischen der einzige Leipziger Verein mit Juniorenteams in den zwei höchsten Spielklassen der B- und A-Jugend. Die einst hochgelobte Jugendarbeit von Lok leidet derweil an Geld- und Talentemangel – dunkle Aussichten also für Traditionalisten.