Vier lange Jahre war 1899 Hoffenheim die wohl graueste Mannschaft der Bundesliga. Doch auf einmal sind Volland, Firmino & Co. Garanten für das große Spektakel. Selbst das Phantomtor hilft dem Klub.
„Was wir abliefern, ist gut, das kann sich sehen lassen. Wir können momentan Spektakel, wir können nicht langweilig.“
Die Worte von Hoffenheims Trainer Markus Gisdol stammen aus dem August – vor dem Aufeinandertreffen mit dem VfB Stuttgart.
Und Gisdol sollte Recht behalten: Beim VfB setzte es eine spektakuläre 2:6-Pleite, gefolgt von weiteren atemberaubenden Partien.
Die graue Maus der letzten vier Jahre und Fast-Absteiger der vergangenen Saison hat sich binnen zehn Spieltagen zu einem Team mit Profil und Esprit entwickelt. Auch wenn längst nicht alles so läuft, wie es sich der Trainer erhofft.
Magisches Dreieck sorgt für Tore
So sind die Hoffenheimer das Team mit den meisten Toren der Liga und verfügen mit dem Offensivtrio aus Kevin Volland, Anthony Modeste und Roberto Firmino über die derzeit erfolgreichste Angriffsreihe der Liga.
Bisher schoss der derzeitige Tabellenneunte in dieser Saison immer mindestens ein Tor. Firmino steht mit sieben Toren an der Spitze der Torjägerliste. Ein Tor weniger erzielte Kevin Volland, der den endgültigen Durchbruch hin zum Bundesliga-Topstürmer vollzieht und sich Hoffnungen auf die WM 2014 machen kann. Und auch der französische Neuzugang Modeste hat mit bislang fünf Toren voll eingeschlagen.
Die Kehrseite der Medaille: Keeper Koen Casteels blieb bislang noch nie ohne Gegentor.
Vorne hui, hinten pfui
Während die Offensive höchsten Ansprüchen genügt, ist die Hoffenheimer Defensivarbeit noch immer die eines Abstiegskandidaten. Mit 23 Gegentoren ist 1899 zusammen mit dem Letzten aus Braunschweig die anfälligste Mannschaft.
Vor allem die Position des Linksverteidigers macht Gisdol zu schaffen: Fünf verschiedene Spieler besetzten den Posten in zehn Spielen, zuletzt kam gar Sejad Salihovic hinten links zum Einsatz.
Auch der Platz in der Innenverteidigung neben David Abraham, dem bislang einzigen konstanten Leistungsträger in der Hoffenheimer Defensive, ist mit dem stetigen Wechselspiel zwischen Jannik Vestergaard und Niklas Süle eine stete Baustelle.
Kein Wunder, dass einzig Abraham und gerade noch Kapitän Andreas Beck in der Verteidigung bei Comunio zweistellig punkten. Der Rest krebst im niedrigen einstelligen Bereich.
Wie Werder unter Schaaf
Mit dieser Kombination aus offensiver Durchschlagskraft und defensiver Anfälligkeit könnten die Hoffenheimer eine Rolle ausfüllen, die vor einigen Jahren noch Thomas Schaafs Bremer innehatten. Auch bei den Werderanern stand einer furiosen Offensive vor allem nach dem Titeljahr 2004 immer wieder die vernachlässigte Defensivarbeit im Weg.
Seit dem Versiegen der Bremer Offensivkraft ist die Stelle des fahrenden Torzirkus wieder frei – und könnte von den Hoffenheimern in der derzeitigen Form bestens ausgefüllt werden.
Da dürfte selbst Stefan Kießlings Phantomtor gegen die TSG nicht allzu sehr schmerzen. Schließlich brachte das Gegentor dem Klub etwas, das weit mehr wert ist als drei Punkte: Einen Platz in den Bundesliga-Geschichtsbüchern.
Wieder positive Schlagzeilen
Der kommt den Kraichgauern ganz gelegen. Nach der atemberaubenden Hinrunde im ersten Bundesligajahr 2008 sind die Hoffenheimer vom visionären Projekt zur ungeliebten grauen Maus mutiert, an der lediglich der Trainerverschleiß spektakuläre Züge annahm.
Die wenigen Momente, in denen der Klub in die Schlagzeilen geriet, waren Personaldiskussionen oder der unwürdigen Beschallungsaffäre geschuldet.
Mit der „Opferrolle“ im Phantomtor-Skandal und dem sportsmännischen Verzicht auf eine Anfechtung des DFB-Urteils dürfte der Verein nun nicht wenige Sympathien zurückgewonnen haben.
Am Samstag ist nun der FC Bayern zu Gast in Sinsheim. Dann könnte Markus Gisdol mit seinem Team einen weiteren Schritt zum aufregendsten Klub der Liga gehen.