Vor neun Jahren stand Alemannia Aachen noch im DFB-Pokalfinale. Die Insolvenz und der komplette Untergang des Vereins spuken ständig am Tivoli herum. Eine Bestandsaufnahme.
Am 29. Mai 2004 traf der TSV Alemannia Aachen im DFB-Pokalfinale auf Werder Bremen. Es war ein sonniger Tag im Berliner Olympiastadion. Nach einer respektablen Leistung unterlagen die Kartoffelkäfer dem Favoriten aus Bremen, der kurz zuvor die Meisterschaft feiern durfte, mit 2:3. Weil Bremen in der kommenden Saison in der Champions League starten sollte, durfte die Alemannia als Zweitligist sogar die Qualifikation zum UEFA-Cup bestreiten und nach einem Sieg gegen Hafnarfjordur tatsächlich europäisch spielen. Die Euphorie war riesig. Der Traditionsverein, der sich selbst als Klömpchensklub tituliert – eine liebenswerte Anspielung auf eine allgemeine Unprofessionalität im Klub – stieg zur Saison 2006/2007 sogar noch in die Bundesliga auf. Alemannia Aachen befand sich auf seinem Zenit.
Neun Jahre später, auf den Tag genau: Im Bonner Sportpark Nord regnet es in Strömen. Klitschnass und mitten im Matsch stehen rund 3000 Aachen-Fans, die im Finale des Mittelrheinpokals gegen den SC Fortuna Köln eine mäßige Leistung ihrer Mannschaft sehen. Inzwischen ist die Alemannia als Tabellenletzter von der 3. Liga in die Regionalliga West abgestiegen. Die Planinsolvenz steht kurz bevor. Dem Verein droht sogar der totale Kollaps und der damit verbundene Abstieg in die Kreisliga. Und auch das Mittelrheinpokal-Finale gegen Fortuna Köln geht verloren. Bezeichnenderweise fiel das entscheidende Gegentor nach einem abgefälschten Flankenversuch eines Kölners.
Rund 70 Millionen Euro verpulvert
Seit dem Abstieg aus der Bundesliga am Ende der Saison 2006/2007 ist sehr viel passiert in Aachen. Sehr viel Schlechtes. Es wurde mit Geld um sich geschmissen. Sei es in Sachen Spielergehälter oder auch bei den weiteren Mitarbeitern. „Während der Bundesliga-Saison und der Teilnahme am UEFA-Cup hatten wir etwa 60 Mitarbeiter. Später in der 2. Liga waren es um die 100“, so Ex-Alemannia-Präsident Horst Heinrichs. Übermütig und realitätsfern konnten die Verantwortlichen offenbar nicht die kurzfristigen Erfolge adäquat einordnen. Der Größenwahn wurde nur noch durch den Bau des neuen Stadions getoppt. Der Stadionneubau war vermutlich der richtige Schritt. Am alten Tivoli wurden unglaubliche Erfolge gefeiert, Geschichte geschrieben, Helden geboren. Aber er war schlicht und ergreifend marode. Aber dass dann ausgerechnet ein Stadion für 32.960 Zuschauer mit Käsebrunnen im VIP-Bereich für 50 Millionen Euro gebaut werden musste, war zweifelsohne der falsche Schritt. „Ein kleineres Stadion hätte es auch getan. Ich war von Beginn an skeptisch, was den Bau des neuen Tivolis angeht“, so Heinrichs. Deswegen wurde der Ex-Präsident auch nicht zum ersten Spatenstich, der von Jürgen Linden, dem ehemaligen Oberbürgermeister Aachens – einem großen Befürworter des Stadionprojektes – ausgeführt wurde, eingeladen.
Für den 2009 eröffneten neuen Tivoli musste Aachen unglaubliche 5,5 Millionen Euro jährlich an Stadionmiete hinblättern – in der 2. Liga. Im Vergleich: Borussia Dortmund zahlt ebenfalls etwa 5,5 Millionen Euro jährlich. Das trieb Reiner Calmund im Gespräch mit dem Lokalsender „Center TV“ im November 2011 auf die Palme: „5,5 Millionen Stadionkosten jährlich in der 2. Liga – wenn das so weiter geht und Aachen einmal absteigt, kommt der Insolvenzverwalter. Kinder, dann kannst du die Kiste abschließen und am Tivoli Minigolfturniere und Kaninchenzüchter-Veranstaltungen durchführen. Man sollte den Verein unterstützen. Im Moment hat Aachen einen Porsche stehen – und keinen Sprit im Tank…“ Der Abstieg sollte im folgenden Jahr passieren. Der Insolvenzverwalter ist längst in Aachen angekommen. Und dieser stellte unlängst in einem Interview mit der „Aachener Zeitung“ fest: „Wir sind in einem Wirtschafts-Insolvenzverfahren mit einem Schaden von fast 70 Millionen Euro. Ein Wirtschaftskrimi.“
Kriminelle Energie
Wo ist all dieses Geld geblieben? Bisher kann man auf diese Frage nur vereinzelt antworten. Die letzten Jahre werden momentan vom Interims-Geschäftsführer und Insolvenzverwalter Michael Mönig sowie dem Sachverwalter Rolf-Dieter Mönning aufgerollt. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt ebenfalls wegen Insolvenzverschleppung. Im Visier der Ermittler ist vor allem Frithjof Kraemer, der ehemalige Geschäftsführer Finanzen. Vor wenigen Tagen wurde bei ihm und am Tivoli eine Razzia durchgefährt. Bislang kann man nur mutmaßen, aber es wurde des Öfteren bereits von „krimineller Energie“ im Rahmen der Alemannia-Insolvenz gesprochen. Das Vertrauen der Stadt Aachen, die bei der Umschuldung Beträge in Millionenhöhe in den Verein gesteckt hatte und einer vielen, großen Gläubiger ist, ist aufgebraucht.
Das Sportliche rückte schon früh in der vergangenen Drittliga-Saison in den Hintergrund. Am fünften Spieltag lag Aachen sogar noch auf dem dritten Tabellenplatz. Dann platzte die Blase. Es ging nur noch bergab – in allen Bereichen. Zur Winterpause musste man den Kader ausdünnen. Die Mannschaft, die in der Rückserie für die Alemannia auf dem Platz stand sollte nun die Kohlen aus dem Feuer holen und wenigstens den sportlichen Klassenerhalt schaffen. Doch zum größten Teil standen die Spieler, die nun in der 3. Liga zum Siegen verdammt waren, vor kurzem noch in der Mittelrheinliga auf dem Platz.
Der nächste Neuaufbau – oder?
Für die kommende Saison in der Regionalliga West steht der nächste Neuaufbau bevor. Eine komplett neue Mannschaft muss her, ein neuer Trainer, ein Präsident… Die Lizenz wurde immerhin schon ohne Auflagen erteilt. Und auch die Spielstätte wurde nach langem Hin und Her geklärt: Alemannia Aachen darf – zumindest erstmal für ein Jahr – am neuen Tivoli seine Spiele austragen. Man konnte sich mit der Stadt auf eine geringe Stadionmiete einigen. Doch ansonsten steht hinter vielem ein Fragezeichen. Die Planinsolvenz wird sich aller Voraussicht nach mindestens über die komplette Hinrunde erstrecken.
Neben den rund 11.000 Gläubigern, die finanziell an der Insolvenz beteiligt sind, ist vor allem das Vertrauen der Fans in den Verein und seine handelnden Personen verbraucht. Auf der emotionalen Ebene musste man als Alemannia-Fan in den letzten Monaten Tag für Tag neue Nackenschläge hinnehmen. Dennoch stehen die Fans hinter ihrem Verein. Denn jeder Neuanfang ist auch eine Chance. Eine Katharsis. Nach den vergangenen Horror-Meldungen der letzten Monate kann es jetzt eigentlich nur noch bergauf gehen. Bereits an den letzten Spieltagen gab es nur noch Bockwürste mit Brötchen und Kartoffelsalat in der VIP-Lounge. Keinen Käsebrunnen mehr.
Es gilt jetzt, auf regionale, mit dem Verein verbundene Menschen zu bauen. Und vor allem ehrlich und transparent in seinen Entscheidungen und seinem Handeln zu sein. Ein radikaler Neuaufbau steht bevor. Alemannia Aachen sollte den Tiefpunkt der Vereinsgeschichte als Chance sehen. Auch wenn es sicherlich schwer fällt, die Situation derzeit so zu sehen, der Großteil der Fans ist der Meinung: Unser Klömpchensklub, der kommt wieder!