Vor knapp einem Jahr ist er dem Tod von der Schippe gesprungen. Jetzt hat Peter Neururer den VfL Bochum mit einer sagenhaften Serie in der Liga gehalten. Neururer Superstar?  

Nach der verkorksten vergangenen Saison wollte man beim VfL Bochum in dieser Spielzeit zumindest nichts mit dem Abstiegskampf zu tun bekommen. Es kam alles anders. Man steckte plötzlich am Ende der Saison so sehr in den unteren Regionen der 2. Liga, wie lange nicht mehr. Es konnte nur noch einer helfen. Der Zauberer. Peter Neururer. Nach dem 33. Spieltag ist klar: Neururer hat es tatsächlich geschafft. Mit viel Herz, Einsatz und Leidenschaft konnte er nicht nur die Mannschaft, sondern auch die Fans mobilisieren und eine unfassbare Euphorie in Bochum entfachen.

„Ich war tot“

Im Juni vergangenen Jahres war all das noch weit entfernt. Peter Neururer erlitt im Alter von 57 Jahren einen Herzinfarkt beim Golf spielen. Im Interview mit der „Sport Bild“ beschreibt er den dramatischen Notfall: „Es gibt nichts Gefährlicheres. Ich hatte keinen Herzschlag mehr, war schon weg. Ja, ich war tot. Nix mehr.“ Neururer sagte, der Herzinfarkt sei eine Folge der Nichtbeschäftigung gewesen. Er wolle wieder als Trainer einer Mannschaft an der Seitenlinie stehen. Den grünen Rasen riechen. Die Atmosphäre eines Stadions einsaugen. Fußball einfach leben. Nach genau 1257 Tagen ohne einen Posten als Trainer sollte es wieder soweit sein.

Natürlich gibt es Leichteres und vor allem Herz-Verträglicheres, als einen Job bei einem abstiegsbedrohten Zweitligisten zu übernehmen. Doch für Neururer war klar: Wenn der Klub anfragt, mache ich das! Seit seiner Zeit von 2001 bis 2005, in der er den VfL Bochum sogar in den UEFA-Cup führte, sei dieser Verein eine Herzensangelegenheit. Er hätte auch bei keinem anderen Klub so kurzfristig zugesagt, erläuterte er im „Doppelpass“. Er habe die Geschicke seines VfL immer verfolgt und kenne sich nur zu gut im Verein aus. Deswegen fiel seine Einschätzung zur Lage in Bochum bei seinem Amtsantritt auch gleich sehr deutlich aus: „Du stehst da und siehst, der Verein ist total am Ende, in allen Bereichen. In der öffentlichen und internen Wahrnehmung – vor allem im Tabellenbild. So katastrophal wie noch nie in der Vereinsgeschichte.“ Schnelle, kurzfristige Erfolge mussten her. Das Image aufpoliert werden. Vor seinem ersten Spiel als Cheftrainer gab es sicher viele Kritiker. Ist ein Mann, der vor knapp einem Jahr noch einen Herzinfarkt erlitten hatte, wirklich der richtige Trainer für diesen heiklen Posten? Im Nachhinein muss man festhalten: Absolut.

Vier Spiele – vier Siege

Nach dem äußerst bitteren 0:3 gegen Erzgebirge Aue am 28. Spieltag kam Neururer. Was folgte, war eine wahnsinnige Erfolgsgeschichte. Bei seinem Amtsantritt gewann Bochum 2:0 in Cottbus. Im folgenden ersten Heimspiel entfachte Neururer eine solche Euphorie, dass gegen St. Pauli über 26.000 Zuschauer kamen. Das waren exakt doppelt so viele Zuschauer, wie im letzten Heimspiel unter der Regie von Neitzel. Doch nicht genug: Bochum gewann sogar 3:0 gegen Pauli und legte in Sandhausen mit einem 1:0-Sieg nach. Neun Punkte, 6:0 Tore. Kann sich sehen lassen die Bilanz. Erst gegen Köln fing man sich den ersten Gegentreffer. Am Ende gewann man dennoch mit 2:1. Nach diesen vier Siegen war der Klassenerhalt schon beinahe gesichert. Neururer schaffte es, die Mannschaft zu erreichen. Aus vorher völlig indisponierten Spielern das Beste rauszuholen. Nach dem ersten Sieg in Cottbus war offenbar alles ganz einfach. Im „Spiegel“ sagte Neururer: „Dann hast du natürlich auch den Effekt bei der Mannschaft. Wie die Trainingsprogramme ablaufen oder auch nicht, das spielt überhaupt keine Rolle. Denn all das, was der Alte sagt, tritt plötzlich ein.“

Hexenwerk ist die Arbeit vom größten aller Feuerwehrmänner sicher nicht. Er ließ immer und immer wieder Standardsituationen trainieren, setzt auf Disziplin und will Leidenschaft sehen. Grundtugenden eigentlich. Aber Neururer hat diesen Nimbus, diesen unglaublichen Status in Bochum. Er wird schon beinahe als Heiligenfigur vergöttert. Viele Spiele, Torwart Luthe beispielsweise, standen als Jugendspieler auf der Tribüne während der VfL unter Neururers Regie international spielte, verbinden mit ihm Erfolg und bessere Zeiten. Er hätte im Grunde gar nichts falsch machen können. „Und wenn ich sagen würde, wir laufen die nächsten 14 Tage rückwärts, wäre das auch kein Problem“, so Neururer weiter.

Der Klassenerhalt ist sicher

Am vergangenen Spieltag verlor Bochum zwar zum ersten Mal unter Neururer. Doch der Klassenerhalt gelang trotzdem. Am kommenden letzten Spieltag der Saison steht ein Heimspiel an. Man darf vermuten, dass das Stadion nahezu ausverkauft sein wird. Alle wollen ihn live sehen und hautnah im Stadion erleben. Den Zauberer. Neururer beschwichtigt in seiner unnachahmlichen Amt und zweifelt an, ob er etwas an der Mannschaft verändert habe. Er stellt die Zuschauer und Fans in den Vordergrund. „Wir haben unglaubliche Zuschauerzahlen, und die Unterstützung in der Stadt ist riesig. Das habe ich zuletzt so erlebt, als der VfL vor neun Jahren in den Uefa-Cup eingezogen ist“, sagt er im Interview mit der „Welt“.

Neururer ist zwar erst wenige Wochen im Amt und seine Zukunft über die Saison hinaus ist noch nicht geklärt. Aber er hat das, was er sich wünschte. Den grünen Rasen riechen. Die Atmosphäre eines Stadions einsaugen. Fußball einfach leben: „Ich sauge das auf, und ich merke, dass nicht nur ich angekommen bin, sondern auch das gesamte Publikum, das Umfeld in Bochum, der ganze Verein, ja die ganze Stadt sind angekommen. Alle sind mit dir vereint.“