Wie gut ist Jong Oranje wirklich? Der Kader strotzt vor A-Nationalspielern, jeder Menge Erfahrung und einer tollen Offensive. Er hat aber auch eine große Schwäche.  

Der letzte große Titel von Jong Oranje liegt schon einige Jahre her. 2006 und 2007 sicherte man sich die Krone im europäischen Nachwuchsfußball. 2011 kam man allerdings nicht mal mehr unter die Top vier. Zeit, dies zu ändern, wenn es nach Trainer Cor Pot geht. Die Voraussetzungen für die EM in Isreal sind ausgesprochen gut. In der Qualifikation setzte man sich souverän durch. Die Play-Off-Spiele gegen die Slowakei wurden ebenfalls locker gewonnen. Jetzt soll der große Sprung zum Titel gemacht werden. Und mit diesem Aufgebot, das aus etlichen aktuellen A-Nationalspielern besteht, könnte dies wirklich gelingen. Wir stellen die einzelnen Mannschaftsteile vor.

Tor:  Marco Bizot (FC Groningen), Nick Marsman (Go Ahead Eagles), Jeroen Zoet (RKC Waalwijk)

Trotz insgesamt zwölf Spieler, die bereits für die A-Nationalmannschaft aufgelaufen sind, ist die Torwartposition beängstigend schlecht besetzt. Marco Bizot stand beim FC Groningen in der Eredivise zwar die gesamte Rückrunde im Kasten, ist ansonsten aber eher ein Notnagel. Nick Marsman spielt beim Zweitligisten Go Ahead Eagles und konnte dort die Saison als Stammtorhüter und Tabellensechster abschließen. Das größte Talent ist aber wohl Jeroen Zoet, der derzeit von der PSV Eindhoven an die RKC Waalwijk ausgeliehen ist und dort die ganze Saison das Tor hütete. Deswegen wird Zoet aller Voraussicht nach auch während der EM in Isreal als Stammkeeper ins Turnier gehen. Er ist zwar ein solider Rückhalt, aber große Klasse hat er noch nicht. Im Tor hat die Niederlande eindeutig ihre Schwäche.

Abwehr: Daley Blind (Ajax Amsterdam), Stefan de Vrij (Feyenoord Rotterdam), Kelvin Leerdam (Feyenoord Rotterdam), Bruno Martins Indi (Feyenoord Rotterdam), Bram Nuytinck (RSC Anderlecht), Patrick van Aanholt (Vitesse Arnheim), Mike van der Hoorn (FC Utrecht), Ricardo van Rhijn (Ajax Amsterdam)

Die Verteidigung ist entgegen aller niederländischer Gewohnheit eine Stärke. Hier stellt sich die Viererkette im Grunde von alleine auf. Zwei Ajax- und zwei Feyenoord-Spieler bilden die Stammformation. Links wird Daley Blind, Sohn des großen Danny Blind, beginnen. Zusammen mit seinem Ajax-Kollegen Ricardo van Rhijn bildet er das Gespann der Außenverteidiger. Beide Spieler sind in dieser Saison niederländischer Meister geworden und spielen auch in der A-Nationalmannschaft regelmäßig seit der Übernahme von Louis van Gaal. Was van Gaal und auch U21-Coach Pot an den Beiden schätzt ist neben ihrer Offensivstärke vor allem das Defensivverhalten. Allen voran Blind, der des Öfteren auch den Innenverteidiger spielt, hat seine Stärken im Zwei- und Luftkampf. Van Rijn hat außerdem auf der rechten Verteidigerposition in der Elftal Gregory van der Wiel verdrängt. „Auch, wenn die Saison sehr lang war. Ich fühle mich ausgesprochen fit. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass wir das Finale erreichen wollen. Das ist unser Ziel. Wir haben eine Mannschaft, die gemeinsam viel erreichen kann“, äußert sich Blind im Vorfeld des ersten Gruppenspiels.

Die Innenverteidigung wird von zwei Feyenoord-Spielern besetzt. Bruno Martins Indis ist vermutlich die große Entdeckung der Eredivisie-Saison. Der 21-Jährige ist Stammspieler in Rotterdam und wurde von van Gaal auch zum Innenverteidiger Nummer eins der Elftal ernannt. In sechs WM-Qualifikationsspielen gelangen ihm außerdem zwei Tore. Trotz seiner eher kleinen Körpergröße von 1,84 ist Martins Indi ausgesprochen kopfballstark. Flink und wendig ist der gebürtige Portugiese, der auch mal gerne Lieder des niederländischen Schlagersängers André Hazes vor einem Spiel hört, ebenfalls. Mit de Vrij bildet er schon im Verein ein starkes Innenverteidiger-Duo, das sich in Isreal beweisen will.

Mittelfeld: Jordy Clasie (Feyenoord Rotterdam), Leroy Fer (FC Twente Enschede), Danny Hoesen (Ajax Amsterdam), Adam Maher (AZ Alkmaar), Kevin Strootman (PSV Eindhoven), Marco van Ginkel (Vitesse Arnheim), Tonny Vilhena (Feyenoord Rotterdam), Georginio Wijnaldum (PSV Eindhoven)

Im Mittelfeld hat Trainer Pot die Qual der Wahl. Gleich sechs Spieler, die bereits für die große Elftal aufgelaufen sind, stehen hier im Aufgebot. Unter diesen sechs Spielern und dem großen Talent Tonny Vilhena werden sich die fünf Stammplätze je nach Gegner aufteilen. Lediglich Kevin Strootman von der PSV Eindhoven ist gesetzt. „Er ist mein Kapitän und geht immer voran. Ich bin verdammt froh, dass ich Kevin dabei habe. Ich muss noch nachdenken, wer neben ihm spielen wird“, so Pot. Ob es zum EM-Titel reicht, wird auch in großen Teilen an Strootman liegen. Der defensive Mittelfeldspieler, der auch in der Elftal Kapitän und Führungsspieler ist, ist das Gehirn und der Taktstock dieser jungen Mannschaft.  Der 23-Jährige hat bereits 18 A-Länderspiele auf dem Konto und ist auch in der Eredivisie ein ganz wichtiger Baustein seiner Mannschaft. Neben Mark van Bommel konnte er in dieser Saison in Eindhoven sicher noch einiges lernen. Nicht umsonst wird Strootman immer wieder mit Manchester United in Verbindung gebracht.

Aber auch neben dem Eindhovener hat das Mittelfeld der Niederländer viel zu bieten. Allerdings sind alle weiteren Spieler bislang noch nicht so konstant wie Strootman. Ein Player to Watch wird allen voran der 20-jährige Marco van Ginkel sein. Der Zehner, der aussieht wie ein frisch geschlüpftes Küken, konnte in der vergangenen Saison mit Vitesse Arnheim in der Eredivisie auf sich aufmerksam machen. Acht Tore und zehn Vorlagen sprechen eine eindeutige Sprache. Aufgrund seiner starken Saison hat bereits der Chelsea FC angeklopft.

Außerdem sollte man auf Jordy Clasie, Adam Maher und Georginio Wijnaldum achten. Sie alle versprechen eine goldige Zukunft für die niederländische Elftal. Für den ganz großen Sprung zu einem europäischen Top-Team fehlt ihnen aber noch die Konstanz. Dass sie außergewöhnliche Talente haben, steht außer Zweifel. Die große Stärke des Mittelfelds bei Jong Oranje liegt in der Schnelligkeit. Alle Spieler, ausgenommen von Kevin Strootman vielleicht, kommen mit richtig viel Power und Geschwindigkeit über die Außen. Die einzige Spitze wird dadurch immer wieder gut gefüttert. Aber auch durch Einzelaktionen können Maher, Fer und Co. viel Schaden beim Gegner anrichten.

Sturm: Luuk de Jong (Borussia Mönchengladbach), Memphis Depay (PSV Eindhoven), Ola John (Benfica Lissabon), Florian Jozefzoon (RKC Waalwijk)

Bei Borussia Mönchengladbach lief es für Luuk de Jong am Anfang der Saison nicht ausgesprochen gut. Er musste sich an die neue Liga und das neue Spielsystem gewöhnen. In Enschede war alles auf den 1,88 großen Angreifers fokussiert und zugeschnitten. In Gladbach musste er plötzlich enorm viel Defensivarbeit leisten. Das kannte de Jong so noch nicht. Im Team von Jong Oranje wird de Jong seine Stärken wieder voll ausspielen können. Aufgrund der schnellen Mittelfeldspieler, die gerne über die Außenbahnen kommen und von dort in die Mitte flanken, bekommt der Gladbacher viele Bälle. Dass er diese dann im Tor unterbringen kann, hat er oft genug bewiesen.

De Jong wird aller Voraussicht nach als Stoßstürmer beginnen. Seine Stärken werden für die Mannschaft von Pot enorm wichtig sein. Denn de Jong ist der einzige robuste Stürmer, der im Zentrum agieren kann. Depay, Jozefzoon oder der in Lissabon spielende John sind allesamt kleine, flinke Außenstürmer. Man könnte jetzt monieren, dass System der Niederländer durchschaubar wäre. Dem ist aber nicht so. Mit de Jong hat man einen zentralen Stürmer, der viel Unterstützung aus dem Mittelfeld erhält. Aber auch wenn de Jong einmal vom Gegner stark abgedeckt wird (wie im Testspiel gegen Australien geschehen), fallen die Tore (drei an der Zahl gegen Australien). Denn dann rücken die Mittelfeldspieler auf, suchen immer wieder das eins-gegen-eins-Duell oder schließen aus der Entfernung ab.

Fazit: Jong Oranje ist ein Schwergewicht im Turnier der U21-Nationalmannschaften. Lediglich auf der Torwartposition ist das Team schlecht besetzt. Die erste Elf dürfte aber (bis auf den Torwart) europäisches Top-Niveau haben. Danach wird es aber vor allem in der Abwehr eng. Im Mittelfeld und Sturm ist die Niederlande herausragend besetzt. Das wissen auch die gegnerischen Trainer. So äußerte sich Spaniens Trainer Julen Lopetegui lobend: „Die Niederlande hat eine starke Mannschaft mit insgesamt zwölf Spielern, die bereits für das A-Team aufgelaufen sind und auf höchstem Niveau gespielt haben.“

Wenn Jong Oranje seine geballte Offensivpower nutzen kann und sich in der Defensive kein Spieler schwerwiegend verletzt, kann man die niederländische Mannschaft getrost als Titelfavorit ansehen. Am Selbstvertrauen wird es auf jeden Fall nicht scheitern, wenn man die Worte von Trainer Pots hört: „Der Titel ist das Ziel. Ansonsten bräuchten wir gar nicht erst anreisen. Wir gehören zu den Favoriten.“ Am 6. Juni zum ersten Gruppenspiel gegen Deutschland wird man sehen, wo man steht und wie gut man ist. Aber Pot ist sich sicher: „Wenn es gegen Deutschland geht, dann sind wir bereit. Und dann können meine Spieler allen beweisen, dass sie wirklich die großen Talente sind, die jeder in ihnen sieht.“