Nach der desolaten EM 2012 folgte der große Umbruch bei Oranje. Louis van Gaal wurde als Trainer geholt, krempelte die Elftal ordentlich um – und kündigte während der laufenden WM-Qualifikation bereits seinen Weggang an. Nach dem 2:2 in Estland zeigte sich das Feierbiest wieder von seiner grantigen Seite. Van Gaal fordert Spieler, die für ihn durchs Feuer gehen. Führt der Umbruch zum erneuten Turnier-Desaster?
„Es geht nicht um Fehler eines einzelnen Spielers im Teamverbund. Wir wollen als Team zu spielen. Dass dabei Fehler gemacht wurden, ist deutlich“, beschreibt Louis van Gaal nach dem 2:2-Remis gegen Estland. Zuvor analysierte er nüchtern und durchaus treffend, wie es zum Unentschieden beim Fußball-Zwerg kommen konnte. Doch nach ruhigen drei Minuten wird van Gaal immer deutlicher. Er nennt Spielernamen (de Vrij, Sneijder, Martins Indi) und sagt vor laufenden Kameras, dass beide Spieler nicht gut gespielt haben und erklärt, welche Fehler sie gemacht haben. Auf die Meldung, dass der neue Abwehrchef Martins Indi für das nächste Quali-Spiel ausfallen wird, reagiert er van-Gaal-typisch: „Ich werde ihn nicht vermissen.“ Dadurch hinterlässt er oftmals verbrannte Erde. Auch bei Oranje.
Sneijder auf Bewährung
Sneijder spielt sowieso quasi nur auf Bewährung. Der Oranje-Held von der WM 2010 gehört nicht mehr zum Stammpersonal bei van Gaal. Leichte Blessuren oder Vereinswechsel aber auch die fehlende (derzeitige) Qualität halten den Bondscoach oftmals von einer Sneijder-Nominierung ab. Zudem nahm er ihm die vorher selbst vergebene Kapitänsbinde wieder weg. Van Gaal macht nicht Halt vor großen Namen. Das bestätigt Bremens Eljero Elia auch: „Wenn du Rechtsaußen bist, spielst du rechts außen, wenn du Linksaußen bist, spielst du links außen – van Gaal guckt nicht auf Namen, er guckt nur, wer gut drauf ist“
Das Verhältnis zwischen van Gaal und Sneijder steht allerdings inzwischen beinahe sinnbildlich für die Entwicklung der Elftal in den letzten Wochen. Natürlich, mit einem Sieg am Abend gegen Andorra qualifiziert man sich für die WM-Endrunde. Spielerisch weiß Oranje mit vielen jungen Spielern wieder stellenweise zu überzeugen. Vor allem der Umbau der neuen Abwehr bereitet vielen Niederländern große Sorgen. Inzwischen muss man allerdings feststellen, dass dort eine ordentliche Abwehr-Generation heranwächst.
Aber die Querelen sind in den letzten Wochen doch häufiger geworden. Grund dafür sind Aussagen des Trainers über schwache Leistungen seiner Spieler, nicht-Berücksichtigungen und teilweise missverständliche Aussagen über die Wichtigkeit der Nationalmannschaft. Dem ansonsten so erbarmungslosen van Gaal wird eine Inkosequenz in seinem Handeln vorgeworfen, die man teilweise nicht mehr von der Hand weisen kann.
Der persönliche Traum von der Weltmeisterschaft
Van Gaal war schon immer bekannt dafür, junge Talente zu entdecken und zu formen, sie auf ein neues Level bringen zu können. Die besten Beispiele dafür sind Holger Badstuber und Thomas Müller. Aber dafür braucht nicht nur van Gaal, sondern jeder andere Trainer der Welt vor allem eines: Zeit. Als Nationaltrainer hat der Ex-Bayern-Coach davon viel zu wenig mit seinen Spielern. „Ich sehe sie vielleicht acht Mal im Jahr. Das ist zu wenig“, beklagte van Gaal kürzlich. Dazu kommt, dass van Gaal selbst nicht das Ziel hat, langfristig etwas in der angeschlagenen niederländischen Nationalmannschaft aufzubauen.
Schließlich kündigte er während der laufenden WM-Qualifikation bereits überraschend an, nach der Weltmeisterschaft in Brasilien als Bondscoach aufhören zu wollen. Als Begründung gab er eben die fehlende Möglichkeit an, seine Spieler nicht genug entwickeln zu können. Aber vielmehr erscheint es, als wolle van Gaal seinen Traum von der Trainer-Teilnahme an einem großen Nationenturnier verwirklichen, den er sich vor gut zwölf Jahren selbst zerstört hat. Denn am 1. September 2001 unterlag die Niederlande mit Spielern wie Edwin van der Sar, Jaap Stam, Philip Cocu, Patrick Kluivert und Ruud van Nistelrooy 0:1 in Irland. Die Qualifikation für die WM in Japan und Südkorea wurde verpasst, van Gaal musste gehen. Es war übrigens die letzte Niederlage im Rahmen eines WM-Quali-Spiels für die Niederlande.
Während seiner zweiten Amtszeit macht van Gaal keinen Hehl daraus, dass er allen voran das Ziel hat, selbst einmal ein großes Turnier, eine EM oder WM, zu erleben. Diesen Traum will sich der Bondscoach jetzt erfüllen. Er ist auf dem besten Weg. Seit zwölf Spielen ist die Elftal ungeschlagen. Lediglich die erste Partie unter van Gaal ging verloren (2:4 gegen Belgien). Allerdings hat der Erfolg seit einigen Wochen einen faden Beigeschmack. Nutzt van Gaal die Nationalmannschaft lediglich dazu, um sich einen eigenen Traum zu verwirklichen?
„Ich opfere mich auf“
Diese Aussage bekam Futter, als Louis van Gaal nach dem Portugal-Test Mitte August gestand, dass er lieber eine Vereinsmannschaft als die Nationalmannschaft trainieren würde. Dann der Zusatz: „Aber ich opfere mich auf für das eine Ziel: Die WM. Ich will einmal ein großes Turnier mit einer Nationalmannschaft mitmachen. In ein paar Monaten kann man ernten, was man in der Qualifikation gesät hat. Dann wird es interessant.“
Was allerdings nach dem Turnier mit der Elftal passiert, steht in den Sternen. Van Gaal hat den ersten Schritt der nötigen Umstrukturierung der Mannschaft vollzogen. Er wird sich den Traum von der WM-Teilnahme erfüllen. „Mit Spielern, die für mich durchs Feuer gehen“, sagt er selbst. Im Hinterkopf schwebt allerdings immer mit, dass der Trainer nach der WM Geschichte sein wird. In der niederländischen Presse sieht man dem kritisch entgegen: „Die eine Hälfte der Mannschaft wird jubeln, die andere trauern“, so Valentijn Driessen, Sportchef der niederländischen Zeitung „De Telegraaf“.
Dennoch glaubt Driessen, dass man mit van Gaal durchaus erfolgreich in Brasilien auftreten kann. Was danach mit Oranje passiert. Weiß er allerdings auch nicht. Nur eins steht fest, weiß Eljero Elia: „Van Gaal sagt genau, was du machen musst, und wenn du das nicht machst, wirst du ausgewechselt.“ So einfach ist das manchmal.