Bert van Marwijk tritt die Nachfolge von Thorsten Fink beim Hamburger SV an. Der Vize-Weltmeister von 2010 soll den HSV auf Kurs bringen und könnte genau der richtige Mann an der Seitenlinie der Hamburger sein.  

Wie hätte es anders sein sollen. Schon vor der offiziellen Verpflichtung des neuen Trainers beim Hamburger SV gab es viel Konfusion. Beim HSV läuft derzeit eben alles drunter und drüber. Bereits am Samstagabend verkündete Bert van Marwijk im niederländischen Fernsehen, dass mit dem HSV alles klar sei. Danach das Dementi aus der Hansestadt. Kommt van Marwijk nun oder nicht? Fest stand, er war der große Favorit. Wenige Tage später folgte dann doch noch die offizielle Bekanntgabe: Bert van Marwijk wird Trainer des Hamburger SV.

Die Konfusion entstand, weil van Marwijk per SMS am Samstagabend geschrieben bekam, dass der Aufsichtsrat in einer Sitzung wohl den Transfer des niederländischen Trainers beschlossen hatte und alles klar sei. „Wenn alles klar ist, ist es klar“, sagt van Marwijk wenige Tage später selber. Diese trockene, pragmatische Antwort des 61-Jährigen spiegelt seine private wie auch sportliche Persönlichkeit passend wider.

Pragmatisch, passend – gut
Van Marwijk ist nämlich keiner, der mit großen Reden oder Pressekonferenzen auf sich aufmerksam macht. Er ist keiner, der sportlich revolutionäre Taktiken oder Spielweisen ausprobiert. Aber van Marwijk ist einer, der mit geringen Mitteln das Maximale erreichen kann. Er ist einer, der auf eine stabile Defensive setzt und den Teamgeist über das Ego des Einzelnen stellt. Genau der passende Mann also für den krisengeschüttelten HSV.

Eine ähnliche Situation fand van Marwijk 2008 bei der niederländischen Elftal vor. Dort übernahm er nach der EM 2008 von Oranje-Legende Marco van Basten. Auf eine der wohl besten Turnier-Vorrunden einer niederländischen Elftal (3:0 gegen Italien, 4:1 gegen Frankreich und 2:0 gegen Rumänien) folgte das enttäuschende Viertelfinal-Aus gegen Russland (1:3 n.V.). Es war wie immer. Die Niederländer spielten attraktiven Offensivfußball, waren am Ende aber wieder ohne Titel nach Hause gefahren. Das wollte van Marwijk ändern.

Beinahe einer Revolution gleich kehrte er vom traditionellen 4-3-3 der Niederländer ab und stellte auf zwei defensive Sechser mit Mark van Bommel und Nigel de Jong um. Der Unmut in den Niederlanden war groß über diese Umstellung. Das Spiel wirkte mitunter träge. Es gab kein Spektakel mehr – dafür war man allerdings umso erfolgreicher. Mit einer mittelmäßigen Mannschaft, die lediglich durch einige wenige Top-Stars gespickt war, holte van Marwijk Sieg um Sieg. Bis er schließlich mit der Elftal im WM-Finale gegen Spanien stand. Und dort in der Verlängerung unglücklich unterlag (alleine Arjen Robben hätten die Niederlande zum Titel in der regulären Spielzeit schießen können).

Eine stabile Defensive steht ganz oben
Bei Bert van Marwijk fällt auf, dass er vor allem auf eine stabile Defensive setzt. Weil die Defensive in den niederländischen Nationalmannschaft traditionell schlecht besetzt ist, spielte van Marwijk deswegen mit zwei Sechsern. Einen Schritt, den man in den Niederlanden zuerst nicht verstand beziehnungsweise dem man skeptisch gegenüber stand. Denn van Bommel und de Jong sind wahrlich nicht für ihr kreatives Spiel bekannt.

Aber durch die beiden defensiven Sechser bekam Oranje Struktur. Das war zwar nicht immer schön anzusehen, dafür aber umso erfolgreicher. Das sahen auch seine größten Kritiker nach dem Erreichen des WM-Finales ein. Van Marwijk weiß, was er mit dem vorhandenen Spielermaterial machen kann und was nicht. Das wird beim Hamburger SV ähnlich sein, der unter Fink kein geordnetes System eingetrichtert bekam. Mal spielte Fink im 4-3-3, mal mit Raute und in Dortmund sogar mit einer Dreierkette. Dass eine verunsicherte Mannschaft plötzlich im Signal-Iduna-Park mit einer Dreierkette auflaufen sollte, half dem Spiel des HSV sicher nicht.

Man kann davon ausgehen, dass van Marwijk beim Hamburger SV Ordnung in das Spiel bringen wird. Im inzwischen klassischen 4-2-3-1 mit nur einer Spitze wird der Niederländer das Spiel der Hanseaten aufbauen. Leidtragender könnte dabei der zentrale Mittelfeldspieler Hakan Calhanoglu werden. Der junge Offensivspieler wird sich hinter Rafael van der Vaart anstellen müssen. Für einen zweiten zentralen Mittelfeldspieler dürfte kein Platz in der van-Marwijk-Elf sein. Passend dazu seine Aussagen bei seiner offiziellen Vorstellung: „Ich mag offensiven Fußball. Aber wir müssen gut organisiert spielen.“ Dass dies bei 17 Gegentreffern (Höchstwert in der Bundesliga) nicht gerade einfach wird, weiß auch der Niederländer: „Die Aufgabe beim HSV ist eine Herausforderung.“

„HSV gehört auf Platz eins bis sechs“
Schon am kommenden Samstag steht van Marwijk im Fokus. Dann spielt der Hamrburger SV im Abendspiel gegen Eintracht Frankfurt. Dass van Marwijk die richtige Wahl ist, davon sind nicht nur Manager Oliver Kreuzer und Aufsichtsrat Carl-Edgar Jarchow überzeugt, sondern auch alte Weggefährten des Niederländers. So etwa Florian Kringe, der bei Borussia Dortmund zum Führungsspieler unter van Marwijk avancierte: „Er ist ein charakterlich guter Trainer, hat eine gute Ausstrahlung und kann den Spielern Selbstvertrauen vermitteln. In einer Phase, wo der BVB wirtschaftlich große Probleme hatte, hat van Marwijk viele junge Spieler eingesetzt“, so Kringe gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“. Und weiter: „Ich glaube, dass er mit seiner Art dazu beitragen kann, dass der HSV in ruhigeres Fahrwasser kommen kann.“

In ruhige Fahrwasser gelangen, das wünscht sich der HSV in dieser Saison. Danach soll der Angriff nach oben kommen. Auf seiner ersten Pressekonferenz gibt der gebürtige Deventer indirekt ehrgeizige Ziele für die Zukunft aus: „Der HSV ist ein Verein, der – wenn alles normal läuft – auf Platz eins bis sechs gehört.“ Derzeit rangiert Hamburg auf Platz 16 der Tabelle. Aber: „Ich habe ein gutes Gefühl hier beim HSV“, so van Marwijk.

Dass Druck besonders im Profifußball eine große Rolle spielt, weiß auch der neue HSV-Coach. Doch für van Marwijk ist dieser Druck eher positiv als negativ zu sehen. „Den Druck müssen die Spieler auch fühlen. Wir müssen so schnell wie möglich wegkommen da unten“, gibt van Marwijk die Marschroute aus. Worauf sich die HSV-Profis, zu denen bald eventuell auch wieder die Aussortierten Tesche, Kacar, Mancienne und Rajcovic zählen werden, freuen dürfen, gab der Niederländer gleich bei seiner Antritts-PK bekannt: „Wir müssen lernen, als Mannschaft zu verteidigen. Trainieren, trainieren und nochmals trainieren. Dann kommt Ruhe in die Mannschaft.“