Trotz einiger Neuzugänge stellt der Hamburger SV mit nur neun erzielten Toren die schwächste Offensive der Liga. Das Tabellenende ist nicht weit entfernt. Wer zieht den Karren aus dem Dreck?
Die Situation: Nachspielzeit der ersten Hälfte auf Schalke. Rudnevs bricht durch, steht frei vor dem Tor und peilt die rechte Ecke mit dem linken Fuß an. Der Ball rutscht über den Schlappen und geht am kurzen Pfosten vorbei. Diese Szene aus dem 17. Spieltag, als der HSV zum zehnten Mal in dieser Saison ohne Torerfolg blieb, steht symptomatisch für die Harmlosigkeit der Rothosen in der Hinrunde.
Einen Hakan Calhanoglu vermisst man an der Elbe genauso sehr wie Sturmspitze Pierre-Michel Lasogga seine Form. Die beiden Heilsbringer der Vorsaison sind verschwunden – beide auf ihre Art. Das Geschäft, Lasogga mit den Calhanoglu-Millionen zu bezahlen, ist nicht aufgegangen. Zudem kommen von den offensiven Außenbahnen um Nicolai Müller und dem Kreativzentrum um Altstar Rafael van der Vaart und Top-Neuzugang Lewis Holtby viel zu wenig Impulse.
Immerhin in der Defensive hat sich der Bundesliga-Dino unter Trainer Joe Zinnbauer gefestigt. 19 Gegentore sind gleichbedeutend mit Platz vier der defensivstärksten Bundesliga-Teams – Werder Bremens Schlussman Raphael Wolf musste mehr als doppelt so oft hinter sich greifen. Der einst so wackelige Innenverteidiger Johan Djourou hat sich inzwischen zu einer absoluten Konstante entwickelt. Zudem werden Jugendspieler wie Ronny Marcos und Mohamed Gouaida mehr eingebunden.
Der komplette HSV-Kader im Überblick
Der Vergleich zur letzten Saison lässt allerdings im Gesamtbild keine Verbesserung erkennen. Die Bilanz: Ein Punkt mehr und 19 Gegentore weniger, aber auch 24 Tore weniger. Die Abstiegsplätze waren vor zwölf Monaten weiter entfernt und doch rutschte man damals noch mitten rein in den Existenzkampf. Das einzige, was sich wirklich verbessert hat, sind die Rahmenbedingungen.
Dietmar Beiersdorfer ist definitiv ein Upgrade zu Fauxpas-König Oliver Kreuzer. Im Umfeld herrscht mehr Ruhe – oder, um es besser zu formulieren: weniger Chaos. In Hamburg von Ruhe zu sprechen, ist angesichts der andauernden Diskussionen um Investor Michael Kühne und die Trainerentlassung von Mirko Slomka nach nur drei Spielen nicht angebracht. Nicht auszudenken, was los wäre, wenn jetzt auch noch der nicht spielberechtigte Hatem Ben Arfa verpflichtet worden wäre, der beim Traditionsverein sogar im Gespräch war.
Das sagten wir vor der Saison:
Wir prophezeiten eine etwas ruhigere Saison, bis das Brodeln bei einer Erfolglos-Serie wieder losgehen und der Trainer infrage gestellt werden würde. Letzteres hat sich schnell bewahrheitet. Was die Ruhe betrifft: In Hamburg ist man sehr um Kontinuität bemüht und gibt dem Trainer trotz einer etwas enttäuschenden Spielweise weiterhin das Vertrauen. Gleichzeitig bleibt Hamburg das Pulverfass, das es in den letzten Jahren schon war. „Über einen einstelligen Tabellenplatz würde sich jeder HSV-Fan freuen“, sagten wir. Vermutlich würden sich die meisten HSV-Fans sogar über Platz zwölf freuen.
Comunio-Player to watch: Maximilian Beister
Das gesamte Fußballjahr 2014 verpasste Maxi Beiter aufgrund eines Kreuzbandrisses. Sein Ausfall war in der Rückrunde 2013/14 auch ein Grund dafür, dass der HSV nur denkbar knapp dem Abstieg entrinnen konnte. In der Hinrunde hatte er zuvor fünf Tore geschossen und gute 41 Comunio-Punkte gesammelt – trotz sieben Partien mit Minuspunkten. Beister hat die Fähigkeiten, dem HSV-Angriff wieder mehr Gefährlichkeit zu verleihen, muss dafür jedoch schnell seine Topform finden. Ob er tatsächlich die notwendige Belebung für Hamburgs Offensive sein kann, wird sich zeigen. 1,5 Millionen Euro sind für Comunio-Manager ein geringes Risiko!
Prognose:
Es wird extrem schwierig für den Bundesliga-Dino, dem Abstiegskampf zu entkommen. Mit einer schnellen Serie mit Siegen gegen die Konkurrenten aus Köln und Paderborn könnte man sich Luft verschaffen, doch gleichzeitig besteht die Gefahr, sich bei zwei Niederlagen gegen die Aufsteiger wieder mitten in der Krise zu befinden. Daher sind die ersten beiden Spiele nach der Winterpause schon absolut richtungsweisend.
Vom spielerischen Potenzial der Mannschaft wurde genug geredet – solange Lasogga & Co. ihre Fähigkeiten nicht auf den Platz bringen, bleibt der HSV mitten im Sumpf. Eine Verpflichtung von Josip Drmic würde Sinn machen, ist aber nicht wirklich wahrscheinlich. Die Punktzahl aus dem Vorjahr wird aller Voraussicht nach nicht reichen, um die Klasse zu halten. Wenn sich die Mannschaft nicht innerhalb der ersten sechs oder sieben Wochen absetzen kann, wird es bis zum Ende verdammt eng für den HSV.