Im Herbst wurde Jens Keller beim FC Schalke 04 entlassen, unter Roberto di Matteo ging es nur zwischenzeitlich bergauf. Während Keller trotz guter Ausbeute ständig vor dem Aus stand, sitzt di Matteo fest im Sattel. Weshalb?
Erstmals seit vier Jahren wird der FC Schalke 04 die Champions League verpassen. Nach sechs sieglosen Spielen in Folge ist auch die Europa League in Gefahr; man droht sogar noch hinter den Erzrivalen aus Dortmund abzurutschen.
42 Punkte nach 30 Bundesliga-Spielen sind eine Ausbeute, die den Ambitionen des Vorjahres-Dritten alles andere als gerecht wird. Bereits jetzt ist der Rückstand auf Platz vier nicht einmal mehr rechnerisch aufzuholen.
Nun meldet sich mit Timo Hildebrand ein Ex-Schalker zu Wort. Der WM-Dritte von 2006 wundert sich vor allem über die unterschiedliche Wahrnehmung der beiden Trainer. Während Kellers Ausbeute deutlich besser war, ist es di Matteo, der von Anfang an mehr Rückendeckung erhielt.
Statistiken, Spielphilosophie und Jugendarbeit
Im Normalfall werden Trainer an ihren Ergebnissen gemessen. Mit 1,76 Punkten pro Spiel ist Jens Keller der drittbeste Coach der Schalker Vereinsgeschichte – nur Mirko Slomka und Ralf Rangnick waren besser. Roberto di Matteo steht bei 1,48 Zählern pro Partie. Auf eine gesamte Saison hochgerechnet eine Differenz von knapp zehn Punkten.
Die erfolgreichste Rückrunde aller Zeiten, die Hildebrand in seinem nachdenklichen Facebook-Post anspricht, lag bei Kellers Entlassung erst einige Monate zurück. Der Saisonstart der Knappen war schwach, doch die Saisonziele längst nicht unerreichbar. Mit Roberto di Matteo stieg man schon bald in die Top vier auf.
Als die Königsblauen schließlich gegen Real Madrid zwei gute Spiele ablieferten, im Bernabeu gewannen und beinahe ins Viertelfinale der Champions League einzogen, wähnte man sich auf einem guten Weg. Doch seither wurde kein einziges Pflichtspiel mehr gewonnen.
Die Achillesferse des Schalker Spiels liegt in der Offensive. Schon unter Jens Keller bemängelten einige Fans die wenig attraktive Spielweise; dennoch standen 63 Treffer in der Saison 2013/14. Aktuell steht S04 bei 38 Toren. Weder Eric-Maxim Choupo-Moting noch Klaas-Jan Huntelaar konnte sich in der Rückrunde in die Torschützenliste eintragen; Letzterer fuhr seit Winter sogar -20 Comunio-Punkte ein.
Dass di Matteo nicht das Optimum aus dem Kader herausholt, kann auch auf die Verletztenmisere zurückgeführt werden. Zahlreiche Stammkräfte wie Julian Draxler und Jefferson Farfan fehlten über weite Strecke der Saison und sind erst jetzt zurück im Kader. Unter Keller war dieses Pech jedoch in gleicher Form vorhanden.
Doch Keller fand deutlich effizientere Lösungen für die Probleme, schlug teilweise zwei Fliegen mit einer Klappe. So vertraute er auf Youngster Max Meyer als Zehner, obwohl doch mit Julian Draxler und Kevin-Prince Boateng zwei Spieler von internationalem Format auf dieser Position beheimatet sind. Es zahlte sich voll aus.
Unter di Matteo dauerte es eine Weile, bis Meyer auf regelmäßige Einsätze kam. Allerdings ist das Gefühl, dass der 19-Jährige das vollste Vertrauen seines Trainers genießt, abhanden gekommen. In Mainz musste Meyer von der Bank aus zusehen, wie Choupo-Moting mit der Zehner-Rolle überfordert war.
Mit Leroy Sané hat immerhin ein junger Spieler in der laufenden Saison seinen Durchbruch geschafft. Felix Platte und Marvin Friedrich hatten kurze Schnupperphasen, in denen sie gute Leistungen brachten, wurden jedoch zugunsten der Routiniers wieder aussortiert. Kaan Ayhan spielt kaum mehr eine Rolle.
Horst Heldts Dilemma
Doch woran kann man die unterschiedliche Wahrnehmung der Trainer festmachen? Fakt ist, dass bei Keller die Begleitumstände anders waren. Von den Medien wurde der Nachfolger von Huub Stevens von Beginn an mit einer ungewöhnlich starken Skepsis begleitet. Das Vertrauen des Vereins war allerdings nicht gerade größer.
Jens Keller trägt sein Herz auf der Zunge, hat in vielen Interviews erfrischend offene Antworten gegeben und wurde durch seine Zeit auf Schalke abgehärtet, wirkte jedoch nicht immer seriös. Dennoch gelangen ihm ohne jegliche Ruhe im Verein und um seine Person – Verhandlungen mit anderen Trainern liefen sogar offiziell – zwei Top-vier-Platzierungen in Folge. Die erste größere Krise war schließlich sein Ende.
Roberto di Matteo dagegen kam mit einem großen Namen, der alleine von seinem Champions-League-Gewinn 2012 stammte. Von Beginn an erhielt der Schweizer mehr Respekt von den Medien und mehr Rückendeckung vom Verein – auch der Tatsache geschuldet, dass Horst Heldt als Manager nicht zu viele Trainer verschleißen darf.
Auch deswegen herrscht intern mehr Ruhe um seine Person, als es Jens Keller selbst auf Platz drei stehend jemals erfahren hätte. Nach der schlechtesten Rückrunde seit 15 Jahren wird di Matteo nicht weniger Rückendeckung haben als Keller nach der besten aller Zeiten. Manchmal ist das Geschäft Fußball einfach paradox.