Lange hieß es, Joachim Löws Kader für die WM in Brasilien stünde weitestgehend fest. Heute dann die Überraschung: Der Nationaltrainer nominierte vier Neulinge für das Länderspiel gegen Chile.

Es war ein Paukenschlag für die interessierte Fußballszene Deutschlands. Die Rückkehr der neuen Rechtsverteidiger-Alternative Kevin Großkreutz, Miroslav Kloses und Lukas Podolskis sowie der Verzicht auf Mario Gomez und die kürzlich verletzten Marco Reus und Julian Draxler, waren zumindest vermutet worden. René Adler und Max Kruse fehlen ebenfalls im Aufgebot: nachvollziehbar. Die vier Neulinge allerdings hatten die Wenigsten wirklich auf dem Zettel. Am kommenden Mittwoch (05. März, 20:45 Uhr) werden Matthias Ginter, Shkodran Mustafi, André Hahn und Pierre-Michel Lasogga das erste Mal im nationalen Rampenlicht stehen. Wer sind die Neuen? Macht ihre Nominierung Sinn? Wie sind die WM-Chancen der Debütanten?

Matthias Ginter
Der Defensiv-Stratege (rechts im Bild) wird schon länger als deutsche Zukunftshoffnung gehandelt. Dass Matthias Ginter allerdings noch vor der Weltmeisterschaft für die Nationalmannschaft berufen werden würde, hatten die meisten Experten doch als relativ unwahrscheinlich eingestuft. Der Freiburger wurde im letzten Sommer zum zweiten Mal mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold ausgezeichnet. Nun ist der beste Nachwuchsspieler des Jahrgangs 1994 auch bei Joachim Löw angekommen.

Besonders die Flexibilität gilt als großes Plus des 21-jährigen, der bei Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund und Bayern München gleichsam auf dem Einkaufszettel stehen soll. Ginter, der bereits 58 Bundesligaspiele auf dem Buckel hat, gilt als Innenverteidiger moderner Prägung: der auch als Sechser einsetzbare, ballsichere Zweikämpfer erinnert in seiner Rolle an Mats Hummels, der bei Borussia Dortmund häufig aus der Abwehr heraus den Spielaufbau begründet.

Seine Nominierung kann auch als Antwort auf die Verletzungsmisere im defensiven Mittelfeld gesehen werden, die einige Verschiebungen zur Folge haben könnte. Sollten die von Verletzungen geplagten oder gerade erst wieder genesenden Sami Khedira, Sven Bender oder Bastian Schweinsteiger langfristig ihre Form suchen, könnte Philipp Lahm wie bei den Bayern auf die wichtige Sechser-Position rücken. Ginter wäre zum einen neben Lars Bender und dem eher offensiv orientierten Toni Kroos eine Option im defensiven Mittelfeld und könnte zudem einen drohenden Engpass im Abwehrzentrum auffangen, sollte Boateng auf die rechte Abwehrseite rücken.

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Shkodran Mustafi
Shkodran Mustafi (links im Bild) ist die wohl größte Überraschung im 21-köpfigen Aufgebot Joachim Löws. Ein gänzlich unbeschriebenes Blatt ist der Innenverteidiger aus Bad Hersfeld allerdings nicht: Der 21-jährige, der seit 2012 bei Sampdoria Genua unter Vertrag steht, absolvierte insgesamt 61 Spiele für deutsche Junioren-Teams und spielte im März 2013 erstmals für die von Horst Hrubesch trainierte U21 des DFB.

Der Sohn albanischer Einwanderer, der in seiner Jugend zwei Jahre beim Hamburger SV unter Vertrag stand, bei Borussia Dortmund im Gespräch war und danach sein Glück relativ erfolglos beim FC Everton suchte, hat inzwischen 38 Serie-A-Spiele absolviert und darf ohne Umschweife als Stammspieler des Tabellendreizehnten der italienischen Liga bezeichnet werden.

Die taktische Schulung des zentralen Abwehrspielers gilt durch das Durchlaufen der DFB-Jugendteams als gesichert. In Genua kam der Rechtsfuß zuletzt in der Zentrale der Viererkette zum Zuge. Allerdings findet sich der Youngster auch im Italien häufig praktizierten System mit Dreierkette zurecht. In der italienischen Variante von Comunio ist der Defensivmann bisher eher mäßig erfolgreich.

André Hahn
André Hahn hatten im Gegensatz zu Shkodran Mustafi bereits einige Experten in der engeren Auswahl der nächsten DFB-Debütanten gesehen. Der Augsburger, der sich anschickt der erste deutsche Nationalspieler des FC Augsburg seit Helmut Haller (33 Länderspiele, letztmalig 1970 aktiv) zu werden, hat sich auch bei Comunio durch seine Flankenläufe und Torgefährlichkeit einen Namen gemacht. In der Rückrunde ist Hahn mit 50 Punkten der beste Comunio-Akteur.

Auf der rechten Außenbahn stehen Joachim Löw dennoch eigentlich genügend Alternativen zur Verfügung. Durch den Ausfall von Thomas Müller (Muskelfaserriss) sowie die Schonung der gerade zurückgekehrten Julian Draxler und Marco Reus sind Joachim Löws Möglichkeiten allerdings zuletzt dezimiert worden. Dennoch hat der Bundestrainer mit Götze, Sam und Schürrle, der normalerweise natürlich eher über links kommt, eigentlich genügend Alternativen zur Verfügung. Eine Nominierung für den WM-Kader scheint deshalb im Falle Hahns eher unwahrscheinlich.

Ein Vorteil könnte sein, dass sich der Shooting-Star wohl klaglos mit einem Platz auf der Bank zufrieden geben würde und somit Beschwerden aufgrund geringer Einsatzzeiten ausgeschlossen würden. 19 Torbeteiligungen in 37 Bundesligaspielen machen Hahn zu einem starken Edelreservisten. Und wer weiß, vielleicht ist der Rechtsfuß ja auch als Alternative für die rechte Abwehrseite gedacht.

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Pierre-Michel Lasogga
In Berlin und Hamburg würde man die Frage nach der Nationalmannschafts-Tauglichkeit von Pierre-Michel Lasogga wohl sofort mit einem „Ja“ beantworten. Andernorts dürfte die Nominierung des 22-jährigen Kraftpakets schon häufiger auf Skepsis stoßen. Zwar ist die Torquote des klassischen Mittelstürmers in dieser Saison exorbitant hoch und Lasogga mit 11 Toren in 16 Spielen mit Abstand der beste deutsche Stürmer der Bundesliga, der Neuner alter Prägung scheint aber nicht wirklich in das Löwsche System zu passen. Auch Mario Gomez muss aufgrund fehlender Spielstärke (und einer langwierigen Verletzungspause) um seinen Platz im WM-Kader bangen.

War Miroslav Klose als Symbiose zwischen klassischer und falscher, weil relativ spielstarker, Neun nicht vollständig fit, griff Löw zuletzt häufiger auf die neue, populäre Variante mit einem kleineren und wendigen Spieler in der Sturmmitte zurück. Wohl auch wegen der weniger erfolgreichen Auftritte Mesut Özils auf dieser Position, scheint der Bundestrainer nun umzudenken. Mario Götze steht inzwischen allerdings wieder im Saft und böte sich als moderne Alternative im Sturmzentrum an. Auch bei Bayern München wechselt sich Götze aber mit dem Lasogga ähnelnden Mario Mandzukic als Sturmspitze ab.

Ein weiterer Hintergedanke Löws könnte sein, dass bei der Weltmeisterschaft einige Teams mit tiefstehenden Abwehrreihen agieren werden und Lasogga als Wunderwaffe und Turm in der Schlacht dann als Einwechselspieler in engen Spielen den Unterschied machen könnte. In unserer Analyse trat zuletzt außerdem ein weiterer Fakt zutage, natürlich mit einem Augenzwinkern versehen, der im Hinblick auf das Gastspiel in Brasilien zum Vorteil werden könnte: Lasogga trifft vor allem auswärts. Ob die Nominierung Lasoggas trotz aktuell hartnäckiger Rückenprobleme zum richtigen Zeitpunkt kommt, ist eine andere Frage.

Fazit:
Generell ist es sinnvoll, junge Spieler über große Turniere an die Nationalelf heranzuführen. André Hahn wird sich aufgrund der scheinbar übermächtigen Konkurrenz wohl noch gedulden müssen. In der Innenverteidigung, der neben dem dezimierten defensiven Mittelfeld wohl einzigen Problemzone der DFB-Elf, ist eine Überraschung mit Blick auf die WM schon wahrscheinlicher. Matthias Ginter hätte dann wohl die Nase vorn. Lasogga könnte bei ausreichender Fitness als Spezialwaffe á la Odonkor sein Flugticket nach Brasilien erhalten. Allerdings nur, wenn Miroslav Klose und Mario Gomez nicht rechtzeitig fit werden.

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