Seit zehn Jahren dominieren Real Madrid und der FC Barcelona die spanische Primera Division. Doch mit Atletico Madrid ist ein schlafender Riese erwacht. Beenden ausgerechnet die „Matratzenmacher“ den Tiefschlaf?
„Spanische Verhältnisse“ – so lautet das Schlagwort, das angesichts der erdrückenden Dominanz des FC Bayern und Borussia Dortmunds in der Bundesliga gerne despektierlich von Beobachtern in den Mund genommen wird.
In ihm schwingt die Angst vor einem Serienmeister, vor erdrückender Langeweile. Doch während die Bundesliga mit den über allen thronenden Bayern geradewegs in „spanische Verhältnisse“ der fortgeschrittenen Art hineinschliddert, erlebt die Primera Division in diesen Tagen die Wiederauferstehung eines früheren Spitzenteams.
Los Colchoneros, die Matratzenmacher, haben sich nach dem Wiederaufstieg in die Primera Division 2002 nicht mehr nur oben festgesetzt. Spätestens seit dieser Saison ist der Klub aus einem Arbeiterviertel im Süden der spanischen Hauptstadt ein echter Titelaspirant.
Die Nummer eins in Madrid
In Madrid ist Atletico zumindest vorübergehend sogar die Nummer eins: Bereits im vergangenen Mai sorgte das Team von Trainer Diego Simeone im Finale der Copa del Rey mit einem 2:1-Erfolg nach Verlängerung gegen Real Madrid für ein Ausrufezeichen.
In der Liga ließen die Rojiblancos in dieser Saison einen weiteren Sieg folgen: Wie schon im Pokalfinale verließ Atletico das Stadion des Erzrivalen beim 1:0-Erfolg Ende September als Sieger und steht damit an bislang jedem einzelnen Spieltag in der Tabelle vor den Königlichen.
Remis gegen Barca
Am vergangenen Wochenende stand schließlich der Lackmustest für etwaige Meisterschaftsambitionen an: Der Tabellenführer FC Barcelona war zu Gast im Estadio Vicente Calderon, wo Atletico zuvor in dieser Saison keinen einzigen Punkt abgab.
Am Ende trennten sich beide Teams mit einem 0:0. Doch auch wenn der Sieg und damit der Sprung an die Tabellenspitze ausblieb, zeigten die Madrilenen einmal mehr, was sie unter Simeone so stark macht.
Der Argentinier, der als Spieler Teil der letzten Atletico-Meistermannschaft von 1996 war, verordnet seinem Team die Antithese des Tiki-Taka: Torchancen statt Ballbesitz. Die Madrilenen überlassen dem Gegner über weite Strecken den Spielaufbau, pressen dann aber koordiniert in einzelnen Spielsituationen – so etwa bei gegnerischen Einwürfen.
Sattelfeste Abwehr
Bei Ballgewinn geht es dann im Eiltempo vor das gegnerische Tor. Dass diese Taktik trotz des Abgangs von Radamel Falcao funktioniert, liegt auch an Stürmer Diego Costa. 19 Tore schoss der gebürtige Brasilianer, der für Spanien spielen will, in 19 Ligaspielen und sammelte so satte 205 Comunio-Punkte in der Hinrunde. Neuzugang David Villa traf zudem achtmal.
Die größte Stärke der Madrilenen ist jedoch die Defensive: Kein Team der Primera Division hat in der letzten Saison und in der bisherigen Spielzeit weniger Gegentore kassiert als Atletico.
Das liegt neben der defensiven Grundeinstellung auch an der individuellen Klasse der Verteidiger: Alle Stammspieler haben bereits Länderspiele auf dem Buckel. Im Tor steht mit Thibaut Courtois zudem ein herausragender junger Keeper.
Was wird aus den Leistungsträgern?
Der Belgier ist bis zum Saisonende vom FC Chelsea ausgeliehen, und Blues-Coach Jose Mourinho weiß zu schätzen, über welches Talent er verfügt: „Momentan befinden wir uns in einer guten Situation. Wir haben den besten Torwart im besten Torwartalter und mit Courtois den besten jungen Torhüter der Welt.“
Das klingt nicht so, als wolle Chelsea den Keeper an Atletico abtreten. Überhaupt hat Atletico seinen Status längst nicht derart gefestigt, um Leistungsträger ohne Mühe halten zu können.
Falcao verabschiedete sich im Sommer gen Monaco. Sein Nachfolger Diego Costa kann für die fixe Ablöse von 38 Millionen den Verein verlassen und soll bei internationalen Topklubs auf der Liste stehen. Auch Borussia Dortmund soll an ihm interessiert sein.
So steht für Atletico ein wegweisendes Jahr an: Kann der Klub nach dem sportlichen Aufwind seine Besten halten, könnte das Team auch mittelfristig zum echten Faktor im Titelrennen werden. Wenn nicht, drohen auch Spanien wieder spanische Verhältnisse.