Riyad Mahrez und Jamie Vardy jubeln: Läuft bei Leicester City

„Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Jeder kennt die Einleitung der Asterix-Comics. Und wer liebt es nicht, mit diesem kleinen Dorf mitzufiebern, das dem übermächtigen Gegner Tag für Tag Widerstand leistet?

von Chris Schmidt

Doch wo sind diese Dörfer im Fußball geblieben? Wo sind die Zeiten geblieben, als ein Brian Clough zunächst mit Derby County in die 1. englische Liga aufstieg und dort ein Jahr nach einem sehr guten vierten Platz Meister wurde? Später konnte er diese Leistung sogar noch überbieten, als er mit Nottingham Forest direkt im ersten Jahr als Aufsteiger Meister wurde und anschließend zweimal den Pokal der Landesmeister gewann.

Wo sind die Zeiten geblieben, als Otto Rehhagel mit Kaiserslautern als Aufsteiger am 1. Spieltag beim amtierenden Meister in München gewinnen konnte und am Ende völlig überraschend die Meisterschale in den Himmel stemmen durfte? Spätestens zur Jahrtausendwende wurden diese Zeiten leider beendet. Durch die letzte große Revolution in der Champions League wurde die Gelddruckmaschine der UEFA nicht nur den Vize-Meistern der großen Ligen geöffnet, nein, die besten Ligen dürfen sogar bis zu vier Teilnehmer jede Saison ins Rennen schieben.

Schaut man sich einmal die Landesmeister seit diesem Zeitpunkt an, so stehen dort Jahr für Jahr die gleichen Namen. Egal ob die Bayern und Dortmund in Deutschland. Barca und Real Madrid in Spanien. Juve und die Mailänder Clubs in Italien. Lyon und PSG in Frankreich. Oder die Big-Four Manchester United, Manchester City, Arsenal FC und Chelsea FC in England. Überraschungsmeister wie Stuttgart 2007 oder Montpellier 2012 sind die ganz großen Ausnahmen. Besonders im Mutterland des Fußballs, wo neben den genannten Meistern auch der FC Liverpool und die Tottenham Hotspur immer um die internationalen Plätze spielen, kommt es eigentlich schon einer Sensation gleich, wenn sich einmal ein anderer Name unter die ersten fünf Plätze der Abschlusstabelle schiebt. Zuletzt schafften dies der FC Everton und Newcastle United mit eben diesem fünften Platz.

Umso verwunderter reibt man sich selbst als Fachmann jede Woche die Augen, wenn man seinen Blick auf die Tabelle der Premier League wirft. Dort eilt ein kleines Dorf aus den East Midlands Woche für Woche von Sieg zu Sieg. Gut, als Dorf kann man die Stadt Leicester mit über 300.000 Einwohnern schlecht bezeichnen, allerdings sollte der Verein außerhalb des Königreichs nur wenigen Fans bekannt sein. Am ehesten kann man die Füchse, wie sie genannt werden, mit dem VfL Bochum vergleichen, da beide Teams seit ihrem bestehen in unregelmäßigen Abständen zwischen der höchsten und zweithöchsten Spielklasse pendeln.

Zuletzt stieg Leicester im Sommer 2014 wieder auf, doch nach der Niederlage am 30. Spieltag der letzten Saison schien man eigentlich schon so gut wie wieder abgestiegen. Der Rückstand auf das rettende Ufer betrug sieben Punkte und auch das noch offene Spiel gegen Chelsea gab eigentlich wenig Anlass zur Hoffnung. Doch Leicester machte das Unmögliche möglich und bis auf dieses Nachholspiel ging kein Spiel mehr verloren. Es wurden sieben Siege und ein Unentschieden, sodass der Klub an den letzten acht Spieltagen mehr Punkte holte als in den 30 Spielen zuvor.

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Dennoch wurde Nigel Pearson im Sommer entlassen. Auf einer Promotour durch Thailand, das Heimatland von Besitzer und Hauptsponsor Vichai Srivaddhanaprabha, gab es einen Rassismusvorfall mit drei Nachwuchsspielern, zu denen auch James Pearson, der Sohn von Nigel gehörte. Sein Nachfolger wurde Claudio Ranieri, der in seiner Trainerlaufbahn unter anderem den FC Chelsea, Atletico Madrid, Inter Mailand und Juventus Turin trainierte. Jetzt also die englische Fußball-Provinz. Trotz des sensationellen Schlussspurts galt Leicester auch vor dieser Saison als Abstiegskandidat. Im Kader gab es nur wenig Veränderungen. Die Top-Transfers hießen Shinji Okazaki, Christian Fuchs und Gökhan Inler. Gestandene Profis, aber keine, die Hoffnung auf eine glanzvolle Zukunft versprühen.

So war es doch recht überraschend, als man in der neuen Saison da weitermachte, wo man die letzte beendet hatte. Am 6. Spieltag war Leicester City die einzige Mannschaft ohne Niederlage in der Premier League. Auch am 7. Spieltag gelang ein guter Start und man ging früh durch Jamie Vardy in Führung, doch am Ende konnte Arsenal das Spiel mit 5:2 klar für sich entscheiden. Doch die Niederlage warf das Team nicht aus der Bahn: Die folgenden sechs Spiele blieb Leicester erneut unbesiegt.

Als dann Manchester United im King Power Stadium zu Gast war, erwarteten viele ein ähnliches Spiel wie gegen Arsenal. Denn obwohl Leicester inzwischen Tabellenführer war, unkten viele Experten, dass dies am günstigen Spielplan lag. Bis auf Arsenal und Tottenham blieben die großen Gegner bis dahin aus. Das Spitzenspiel endete 1:1, zwei Wochen später sorgte man mit dem 2:1-Heimsieg gegen Chelsea bekanntlich sogar für die Entlassung von Jose Mourinho. Auch die knappe Niederlage in Liverpool kostete nicht die Tabellenführung. Selbst mit einer Niederlage im letzten Hinrundenspiel gegen Manchester City droht höchstens der Abrutsch auf Platz drei. Die Tabelle lügt nicht!

Doch wo liegt das Geheimnis dieses Erfolges? Wirklich fassen kann man es nicht. Leicester führt nicht nur die Hinrundentabelle an: Auch in der Jahrestabelle 2015 stehen die „Foxes“ bisher auf Platz 3 – vor Meister Chelsea, Tottenham und Manchester United. Der Erfolg kam also nicht alleine durch den Trainerwechsel im Sommer. Liegt das Geheimnis also im Spielsystem? Fakt ist, dass Ranieri, wie auch schon sein Vorgänger, überwiegend in einem 4-4-2 mit Doppelsechs agieren lässt – im heutigen Spitzenfußball eher selten. Das ist aber nicht die einzige Besonderheit. Schaut man sich die Spiele bzw. die Ergebnisse von Leicester an, so fühlt man sich sofort an die Bremer Meistermannschaft der Saison 2003/04 erinnert. Wenn Leicester spielt, dann sind Tore garantiert. Bisher war man in jedem Spiel erfolgreich, erzielte 37 Saisontore und stellt damit den besten Sturm der Liga. Auch im internationalen Vergleich waren mit den Bayern, Dortmund und PSG bisher nur drei Mannschaften erfolgreicher.

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So erfolgreich die Offensive spielt, so anfällig ist die Defensive. Kein Gegentor gab es in nur drei Spielen und mit bisher 25 Gegentreffern findet sich Leicester in der unteren Tabellenhälfte wieder. Daher ist es eigentlich um so bemerkenswerter, dass bisher schon elf Siege eingefahren wurden.

Ziel ist es also, genau wie seinerzeit in Bremen, in jedem Spiel ein Tor mehr zu erzielen als der Gegner. Und genau das machen die Füchse aktuell fast perfekt. Besonders zwei Namen springen hier ins Auge: Mittelstürmer Jamie Vardy und Flügelflitzer Riyad Mahrez – beide führen aktuell die Scorerliste an. Mahrez kam im Winter vor zwei Jahren aus der 2. Liga in Frankreich für gerade einmal 500.000 Euro in die Midlands und konnte in der laufenden Saison schon 13 Saisontore erzielen und sieben Vorlagen geben. Vardy spielt schon seit 2012 in Leicester, ist mit seinen 28 Jahren aber ein klassischer Spätstarter. Vor fünf Jahren spielte er noch in der 8. Liga bei Stocksbridge und kam dann über Halifax Town und Fleetwood Town zu den Füchsen.

In dieser Saison spielte er sich zeitweise in einen Rausch. So konnte er am 14. Spieltag im elften Spiel in Folge ein Tor schießen, womit er einen neuen Rekord für die Premier League aufstellte. Im Profibereich liegt sein Bestwert bei 31 Toren und 17 Vorlagen, erzielt in der fünften Liga für Fleetwood. Ob er am Ende dieser Saison in ähnliche Regionen vorstoßen kann? Unmöglich scheint es nach dem bisherigen Saisonverlauf nicht.

Es ist eine Saison, die jedem Spieler und Fan von Leicester City vorkommen muss wie ein Märchen. Oder eben wie ein Asterix-Comic, in dem Vardy, Mahrez und Huth sich Spieltag für Spieltag den kleinen und großen Gegnern stellen, um am Ende die Großen des englischen Fußballs zu ärgern.