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Thomas Broich spielte einst für den 1. FC Köln, Borussia Mönchengladbach und den 1. FC Nürnberg in der Bundesliga, ehe es ihn sieben Jahre zu Brisbane Roar nach Australien zog, um dort zum besten Spieler des Jahrzehnts gekürt zu werden. 2017 hängte er seine Stiefel an den Nagel. Im Interview spricht er über neue Pläne nach der Karriere und die Chancen Australiens bei der WM.

Comunioblog: Thomas Broich, nach sieben Jahren in Australien treffen wir uns heute in Köln. Was machen Sie so kurz nach ihrer aktiven Karriere?

Thomas Broich: Wenn ich die nächsten 40 Jahre Urlaub hätte machen wollen, wäre ich wahrscheinlich in Australien geblieben, aber ich bin ja noch jung und habe auch noch ein bisschen was vor. Aktuell kommentiere ich für die DFL Bundesliga-Spiele und habe auch schon meine Trainer-Ausbildung begonnen. Weitere Projekte stehen in der Pipeline.

Comunioblog:  Im Dokumentarfilm „Tom meets Zizou“, wo Sie während ihrer Profijahre in Deutschland mit der Kamera begleitet wurden, hatte man eher den Eindruck, Sie wollten mit dem Fußball hierzulande nicht mehr allzu viel tun haben. Woher der Wandel?

Broich: Tatsächlich hatte ich nach meiner Zeit in Nürnberg mit dem Fußball schon halbwegs abgeschlossen. Ange Postecoglu, mein damaliger Trainer bei Brisbane Roar und gewissermaßen auch mein Mentor, hat mich in dieser Hinsicht aber wieder komplett auf links gedreht. Dann war schnell klar: Ich werde dem Fußball definitiv erhalten bleiben. Das habe ich eine Zeit lang für undenkbar gehalten.

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Comunioblog: Stichwort Ange Postecoglu: Der war bis vor kurzem noch Trainer der Nationalmannschaft Australiens, wurde dann aber so kurz vor der WM noch durch Bert van Marwijk ersetzt. Was ist passiert?

Broich: Dieser Trainerwechsel kam sehr überraschend und über die genauen Umstände lässt sich nur spekulieren. Van Marwijk mag zwar ein guter Trainer sein, aber er kennt weder den australischen Fußball noch die Mentalität und jetzt wird es knapp, seine taktischen Ideen noch umzusetzen. Unter Ange Postecoglu hat Australien hingegen in den letzten Jahren spielerisch enorme Fortschritte gemacht und ist 2015 sogar Asienmeister geworden. Er hat zum Beispiel auch gegen große Mannschaften ballbesitzorientierten Fußball spielen lassen. Und was viele vielleicht nicht mehr wissen: Bei der WM 2014 hat Australien mit diesem Fußball die Spiele gegen die vermeintlich stärkeren Gegner Chile und Holland über lange Zeit sehr spannend gehalten. Am Ende bleibt dann aber nur in Erinnerung, dass man mit null Punkten Gruppenletzter geworden ist.

Comunioblog:  Wie schätzen Sie diesmal die Chancen Australiens ein, in der Gruppe mit Frankreich Dänemark und Peru?

Broich: Das wird wohl eher nicht reichen, da braucht man sich nichts vorzumachen.

Comunioblog:  Wer ist der herausragende Spieler in der Mannschaft?

Broich: Ohne jeden Zweifel Aaron Mooy. Er hat in der australischen A-League in einer Saison als Mittelfeldspieler 15 Tore und 20 Assists gemacht. Heute nimmt er in der Premier League bei Huddersfield eine tragende Rolle ein. Fußballerisch ist Mooy überragend, er ist nur leider nicht besonders schnell. Ein Problem, das übrigens bei fast allen Australiern zu beobachten ist: Sie haben teilweise fantastische Attribute, dafür fehlen ihnen ein paar andere. Im Kader gibt es also keinen internationalen Top-Spieler. Aaron Mooy kommt da aber immerhin schon sehr nah ran.

Comunioblog:  Die meisten Spieler verdienen ihre Brötchen bei englischen Zweitligisten oder in  Japan. Sagt das schon alles über die Qualität des Kaders aus?

Broich: Jeder, der in Australien das Zeug hat, Nationalspieler zu werden, ist sofort weg. Deshalb gibt es auch kaum Nationalspieler aus der heimischen A-League. Dass viele von ihnen nicht in Europa unter Vertrag stehen, bedeutet aber nicht zwangsweise, dass sie nicht die Qualität dazu hätten. Es lässt sich in Ländern wie Japan, Thailand, Indien oder China heute eben auch schon im Millionenbereich verdienen. Und dann gibt es vielleicht nicht unbedingt den Antrieb, für ein paar Groschen – sagen wir mal zu Roda Kerkrade – zu wechseln.

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Comunioblog:  Einige Spieler kennt man aus Deutschland: Matthew Leckie von Hertha BSC, Robbie Kruse vom VfL Bochum. Milos Degenek hat mal für 1860 München verteidigt. Welchen Stellenwert haben sie?

Broich: Enorm wichtig sind vor allem Leckie und Kruse. Sie haben das Tempo, um mit einer Aktion ein Spiel zu entscheiden. Gegen den sehr jungen Leckie habe ich mal in Australien gespielt. Ein unglaublich guter Athlet. Er schießt nur leider zu selten Tore. Und da wären wir dann wieder beim Thema, dass es keinen wirklich kompletten Fußballer im Kader gibt.

Comunioblog:  Immer noch dabei ist der ewige Tim Cahill. Kann man mit 38 Jahren noch ernsthaft eine WM spielen.

Broich: Das ist sehr interessant, denn er hat auch in den letzten Jahren in der A-League und in England nicht mehr wirklich überzeugt. Für die Nationalmannschaft ist er aber immer noch ein großer Faktor mit seiner Ausstrahlung. Er kann immer wieder Zeichen setzten und hat noch die Mentalität der „goldenen Generation“  um Harry Kewell und Mark Viduka.

Comunioblog:  Eine Frage noch zum Schluss: Im Dokumentarfilm über Sie wurde erstmals intensiv beleuchtet, welche Schattenseiten der Profifußball auch mit sich bringt. Vor kurzem hat Per Mertesacker ein viel beachtetes Interview gegeben, dass er nahezu unmenschlichen Druck während seiner Laufbahn verspürt hat. Haben Sie sich da selbst an wieder Ihre Zeit in der Bundesliga erinnert?

Broich: Mir wurde zwar nicht schlecht vor den Spielen, dafür verspürte ich gelegentlich eine gewisse Angst, von der Presse fertig gemacht – oder von den Fans ausgepfiffen zu werden. Das kann schon lähmen. Schauen Sie sich Jhon Cordoba vom 1. FC Köln an: Es ist kein Wunder, dass ihm nichts gelingt, wenn er bei jeder Aktion nur Pfiffe erntet. Fußballprofi zu sein ist zwar ein extrem geiler Beruf, die Schattenseiten lassen sich aber weder wegdiskutieren noch wirklich umschiffen. Und damit wird man als Profi früher oder später konfrontiert. Es ist wichtig, dass die jungen Spieler auch schon in den Nachwuchsakademien darauf vorbereitet werden. Und wenn jetzt ein Weltmeister wie Per Mertesacker hingeht und sagt: “Ich hätte vor jedem Spiel kotzen können“, dann erweist er der nachfolgenden Generation damit tatsächlich einen großen Dienst.

 

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